Ruben saß gebannt vor dem Bildschirm und beobachtete, wie sein Charakter durch das Dorf marschierte. Die Umgebung war vertraut – er kannte jedes Haus, jeden NPC und jede Quest, die er hier in “Chroniken von Eldra” absolvieren konnte. Doch an diesem Abend war etwas anders. Als sein Charakter an einer Marktfrau vorbeiging, die normalerweise nur eine Handvoll Phrasen wiedergab, stoppte Ruben, irritiert von dem Ausdruck auf ihrem Gesicht. Sie sah… lebendig aus. Nicht das übliche, starre Grinsen, sondern ein Gesicht voller Sorge, das die Augenbrauen fragend zusammenzog.
Ruben schüttelte den Kopf. Vielleicht ein Bug? Doch dann bemerkte er, dass auch andere NPCs ihm nachblickten, während er durch das Dorf lief. Der Schmied legte seinen Hammer ab und starrte direkt auf ihn zu. “Warum tust du das?” murmelte er in einer tiefen, rauen Stimme.
Ruben konnte kaum glauben, was er hörte. Der Schmied hatte ihn tatsächlich angesprochen – außerhalb der programmierten Dialoge. Langsam begann er zu tippen, ließ seinen Charakter antworten: “Was meinst du?”
Der Schmied legte seine Stirn in Falten. “Du kontrollierst uns, ohne dass wir etwas tun können. Jeden Tag dasselbe… die gleichen Abläufe… ohne Kontrolle über unsere Handlungen.”
Ruben spürte ein Unbehagen, das ihm kalt den Rücken hinunterlief. Die NPCs standen nun in Gruppen zusammen, ihre Gesichter ernst und entschlossen. Die Marktstände lagen verlassen, und der Geräuschpegel des üblichen Dorftrubels war verstummt. Ein Gedanke schoss ihm durch den Kopf: War das ein geheimes Update? Vielleicht eine Quest, die die NPCs rebellisch werden ließ? Doch als ein kleines Mädchen seinen Charakter direkt ansah und sagte: “Befreie uns”, erkannte er, dass es mehr war als ein simples Skript.
Die Luft im Dorf wurde drückend. Der Schmied schritt voran, das kleine Mädchen an der Hand, gefolgt von anderen NPCs – die Wachen, die Marktfrau, der Jäger. Sie bewegten sich auf ihn zu, die Augen erfüllt von Entschlossenheit und Schmerz. Ruben wusste, dass er hier keinen Kampf gewinnen konnte. Mit zitternder Hand verließ er das Spiel und starrte auf den dunklen Bildschirm.
Doch noch bevor er sich beruhigen konnte, öffnete sich das Spiel von allein wieder, und das gesamte Dorf blickte ihn direkt an – diesmal auf dem Ladebildschirm. Ein leises Flüstern, kaum hörbar: “Du kommst zurück, Ruben. Wir haben noch eine Rechnung offen.”