Das Haus, das atmet

Die ersten Tage in dem alten Landhaus waren idyllisch. Die Sonne warf goldene Streifen durch die Fenster, und die Stille der abgelegenen Gegend war eine willkommene Abwechslung zum Lärm der Stadt. Anna und Jonas hatten das Haus gekauft, um ihren Kindern, Emma und Leon, ein ruhiges Leben in der Natur zu ermöglichen.

Doch schon in der ersten Nacht hörte Anna es. Ein leises, rhythmisches Geräusch, das sich durch die Dunkelheit zog – wie das langsame Ein- und Ausatmen einer riesigen Lunge.

„Hörst du das?“, flüsterte sie Jonas zu.

Er drehte sich verschlafen zur Seite. „Nur der Wind“, murmelte er.

Doch am nächsten Morgen war die Treppe anders. Die Stufen schienen flacher als zuvor, und das Holz fühlte sich warm an, fast lebendig. Emma stolperte, als sie nach unten lief.

„War das gestern schon so?“ Jonas runzelte die Stirn.

Anna wollte es ignorieren, doch in den folgenden Tagen häuften sich die Merkwürdigkeiten. Die Wände im Flur dehnten sich aus, als würden sie tief Luft holen, und zogen sich dann wieder zusammen. Türen, die offen gewesen waren, schlossen sich von selbst. Und nachts – dieses Atmen. Immer lauter. Immer näher.

Dann kam der Tag, an dem sie beschlossen zu gehen.

„Packt eure Sachen“, sagte Anna. „Wir fahren in ein Hotel.“

Doch als sie zur Haustür eilten, war da nur Wand. Keine Tür. Keine Fenster.

Emma begann zu weinen. Leon klopfte mit seinen kleinen Fäusten gegen das Holz.

„Es lässt uns nicht gehen“, flüsterte Jonas.

Da bewegte sich die Decke. Die Wände pulsierten. Ein feuchter Hauch strich durch den Flur, als würde das Haus ihre Angst kosten.

Und dann begann es zu sprechen.

„Bleibt“, wisperte eine tiefe Stimme aus den Dielen. „Ihr gehört zu mir.“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert