Es war der Tag, an dem das Internet starb.
Mark saß in seinem kleinen, vollgestopften Apartment, umgeben von flackernden Bildschirmen und verknoteten Kabeln, als das Netz zu einem plötzlichen Stillstand kam. Ohne Vorwarnung, ohne Erklärung. Die Seiten, die er offen hatte, froren ein, und eine Leere breitete sich in den digitalen Kanälen aus, die er jahrelang durchforstet hatte. Er starrte auf den schwarzen Bildschirm seines Hauptmonitors, auf dem nur noch ein blinkender Cursor zu sehen war.
Er wusste, dass es kommen würde. Gerüchte über das Ende des Internets hatten sich seit Wochen verdichtet. Hackerforen waren in Aufruhr, dunkle Netzwerke summten vor Spekulationen. Doch niemand hatte wirklich geglaubt, dass es so plötzlich passieren würde – ohne Countdown, ohne Chance, sich zu verabschieden.
Mark ließ sich in seinem Stuhl zurückfallen und atmete tief durch. Er war ein Hacker, einer der besten, zumindest in den Kreisen, in denen er sich bewegte. Für ihn war das Internet nicht nur ein Werkzeug, es war seine Welt, seine Flucht aus einer Realität, die ihm nichts mehr zu bieten schien. Und jetzt war es weg.
Er schaltete die Bildschirme ab, einer nach dem anderen, bis das Zimmer in Dunkelheit getaucht war. Dann, plötzlich, flackerte einer der Bildschirme wieder auf. Ein letztes Signal, bevor alles verschwand.
Eine Nachricht.
„45°N, 123°W. 18:00 Uhr.“
Mark starrte auf die Koordinaten. Sie waren ihm nicht vertraut. Er zögerte, dachte an all die Möglichkeiten, was das bedeuten könnte. Eine Falle? Ein letzter Scherz? Oder etwas Wichtigeres? Aber in seinem Inneren regte sich eine unbestimmte Neugier, die er nicht ignorieren konnte.
Er zog seine Jacke an, griff nach seinem Rucksack und verließ das Apartment, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Die Straßen waren stiller als sonst, die Menschen verunsichert, als wären sie in einer Welt ohne Kompass gestrandet. Kein Internet bedeutete kein Kontakt, keine Nachrichten, keine Orientierung. Es fühlte sich an, als wäre die Stadt in eine vergangene Ära zurückgefallen, und die Stille war ohrenbetäubend.
Mark erreichte die U-Bahn-Station und bemerkte, dass auch hier die Anzeigen erloschen waren. Die Züge fuhren noch, doch es gab keine Fahrpläne mehr. Er stieg ein und ließ sich von der automatisierten Stimme durch die Haltestellen führen, bis er an seinem Ziel ankam. Er wusste nicht genau, wo er war, aber die Koordinaten waren eindeutig – es führte ihn aus der Stadt, in die einsamen Weiten der umliegenden Wälder.
Er wanderte stundenlang durch die Bäume, geleitet nur von einem kleinen GPS-Gerät, das noch funktionierte, und den schwindenden Sonnenstrahlen, die durch die Blätter drangen. Als er schließlich den Punkt erreichte, an dem die Koordinaten zusammenliefen, blickte er auf seine Uhr. Es war 17:58 Uhr.
Der Ort war unscheinbar – eine Lichtung, umgeben von hohen, stillen Bäumen. Es war kein Zeichen, kein Hinweis, dass hier etwas Besonderes geschehen würde. Doch als die Uhr 18:00 Uhr schlug, veränderte sich etwas. Ein leises Summen erfüllte die Luft, kaum wahrnehmbar, aber doch präsent.
Dann hörte er es. Schritte. Zuerst nur ein Knacken von Zweigen, dann das Rascheln von Blättern. Mark drehte sich um, doch es war niemand zu sehen. Er spürte, wie seine Nackenhaare sich aufstellten. Irgendetwas war hier, in dieser Lichtung, mit ihm.
Plötzlich flackerte sein GPS-Gerät auf, und ein neuer Code erschien auf dem Display. „DN-Last“.
Er verstand sofort. Es war ein Signal, das letzte Echo einer sterbenden Welt. „DN“ stand für „Dead Net“, das letzte, verblassende Pulsieren des Internets, das nun endgültig erlosch. Und „Last“ – war dies der letzte Ort, der letzte Moment, der letzte Übertrag?
Die Schritte verstummten, das Summen ebbte ab. Mark blieb allein zurück, auf der Lichtung, umgeben von nichts als der Stille des Waldes. Das GPS-Gerät zeigte nun nur noch eine leere Anzeige. Keine weiteren Nachrichten. Kein Internet. Nur die Ruhe.
Er setzte sich auf den kalten Boden und ließ das Gerät fallen. Es war vorbei. Die Welt würde weitergehen, aber nicht mehr so, wie sie war. Etwas Grundlegendes hatte sich verändert, und die Menschen würden lernen müssen, ohne das zu leben, was sie für selbstverständlich gehalten hatten.
Mark wusste nicht, was die Zukunft bringen würde, aber in diesem Moment fühlte er eine seltsame Erleichterung. Vielleicht, dachte er, war das Ende des Internets nicht das Ende der Welt. Vielleicht war es ein Neuanfang, für alle.
Und für ihn selbst.
Er schloss die Augen und lauschte dem Rauschen des Windes in den Bäumen, einem Klang, der plötzlich so viel realer und lebendiger schien als alles, was er je durch einen Bildschirm erlebt hatte.