Es war kaum mehr als ein Flüstern, das sich durch die Straßen der letzten Stadt zog. Zuerst war es nur eine einzige Person, die hustete. Dann wurden es zwei, drei. Und irgendwann stand der ganze Marktplatz voller Menschen, die schwitzten, husteten und erschöpft auf dem Boden saßen. Niemand sagte es laut, doch jeder wusste, was es bedeutete. Die tödliche Strahlung, die einst das Ende der Welt eingeläutet hatte, hatte nun auch die letzte Bastion der Menschheit erreicht.
Daniel, ein junger Arzt, stand am Fenster seines kleinen Behandlungszimmers und starrte auf das Krankenhaus gegenüber. Die Krankenwagen standen still. Niemand kam, um die Kranken zu holen. Es gab zu viele. Seine eigene Praxis war längst überfüllt mit Patienten, die schwer atmend auf Liegen und Stühlen zusammengesunken waren.
„Was tun wir jetzt, Daniel?“ fragte Lea, eine Krankenschwester, die sich erschöpft gegen die Wand lehnte. Ihre Hände zitterten. Die Müdigkeit stand ihr ins Gesicht geschrieben.
„Ich weiß es nicht.“ Seine Stimme klang hohl. Er hatte es schon hundertmal durchgespielt – war es wirklich die Strahlung, die durch die undurchdringlichen Mauern der Stadt gesickert war? Die Stadt, umgeben von kilometerhohen, schützenden Stahlwänden, die sie vor der verseuchten Außenwelt bewahren sollten? Es gab keinen anderen logischen Grund. Der Schutz, der die Menschen hier so lange am Leben gehalten hatte, versagte.
Doch tief in sich wusste Daniel, dass es mehr war. Er hatte Patienten untersucht, Blutproben analysiert, das Krankheitsbild studiert. Es war anders. Kein Anzeichen von Strahlenvergiftung, keine typischen Symptome. Was auch immer die Menschen hier tötete, kam nicht von draußen.
„Was, wenn es etwas anderes ist?“ Daniel drehte sich zu Lea um. „Was, wenn die Stadt selbst… stirbt?“
Lea blinzelte ihn an. „Wie meinst du das?“
„Die Luftfilter, die Wasserversorgung, die Temperaturregelung – alles hier drinnen ist künstlich, reguliert. Was, wenn ein System versagt? Und was, wenn es nicht nur Technik ist?“
Lea schüttelte langsam den Kopf. „Das kann nicht sein… Die Stadt wurde gebaut, um perfekt zu sein. Um uns für immer zu schützen.“
Daniel nickte. Das war der Plan gewesen. Die letzte Stadt, entworfen, um die Menschheit zu bewahren. Doch nichts ist für immer. Vielleicht war die Stadt ein lebender Organismus, der irgendwann versagte, genauso wie jeder Körper.
Er griff nach seinem Stethoskop und trat an das Fenster. Draußen, am Horizont, sah er die Stahlmauern der Stadt. Gigantisch, unbezwingbar. Doch etwas ließ ihn an ihnen zweifeln. Was, wenn sie längst kompromittiert waren?
„Wir können nicht einfach warten,“ sagte er leise. „Wir müssen es herausfinden.“
Lea sah ihn skeptisch an. „Und wie willst du das tun?“
„Ich gehe zu den Mauern. Es gibt alte Wartungsschächte, die kaum benutzt werden. Ich werde einen Weg finden.“
„Das ist Wahnsinn, Daniel!“ Lea trat einen Schritt zurück. „Du kannst nicht einfach…“
Doch Daniel hatte sich bereits entschieden. Wenn die Stadt wirklich die letzte Festung der Menschheit war, dann musste er alles tun, um herauszufinden, ob sie sie noch schützen konnte. Oder ob sie längst zum Feind geworden war.
Später, in der Nacht, zog er seine Ausrüstung an – einen altmodischen Schutzanzug, der ihn zumindest kurzfristig gegen Strahlung schützen sollte. Er schlich sich durch die verlassenen Straßen, bis er den alten Wartungsschacht fand. Es war ein verrosteter, wenig benutzter Zugangspunkt, verborgen hinter einem Lagerhaus. Mit einem kräftigen Ruck öffnete er den Schacht und stieg in die Dunkelheit hinab.
Der Weg war lang und stickig, und die Luft roch nach Rost und abgestandenem Wasser. Doch schließlich erreichte er die untere Ebene der Stadt, wo die Schutzmauern das Außen von Innen trennten. Daniel legte eine Hand auf die kühle, metallene Wand. Sie fühlte sich seltsam lebendig an, als würde etwas unter der Oberfläche pulsieren.
Dann hörte er es. Ein leises Summen, das aus dem Inneren der Mauern kam. Es klang… krank. Als hätte die Stadt tatsächlich begonnen, zu sterben. Und mit ihr die letzte Hoffnung der Menschheit.
Er trat zurück, das Herz raste in seiner Brust. Wenn die Mauern fielen, würde alles enden. Die letzte Stadt war nicht mehr sicher. Sie war selbst das Problem geworden.