Die Nachricht kam ohne Vorwarnung. Um 12:30 Uhr am Montag sollte eine Sonnenfinsternis beginnen – keine ungewöhnliche Ansage, doch die Dauer bereitete den Wissenschaftlern Sorgen. „Ein bis zwei Stunden, mehr nicht“, sagten sie. „Alles im grünen Bereich.“ Die Stadt bereitete sich darauf vor, als wäre es ein Spektakel. Kinder durften die Schule früher verlassen, und viele wollten die verdunkelte Sonne aus sicherer Entfernung beobachten.
Doch die Finsternis verging nicht.
Stunden später fiel das Tageslicht immer noch aus. Der Himmel blieb in ein düsteres Grau gehüllt, und bald verwandelte sich die Dunkelheit in eine klaustrophobische Schwärze. Die Menschen liefen nach Hause, verängstigt und verwirrt. Es gab keinen Stromausfall, doch in den Straßen herrschte Chaos. Radios und Fernseher meldeten: „Untersuchungen laufen, bitte bleiben Sie ruhig.“
Als die Nacht schließlich anbrach, war die Sonne nicht wiedergekehrt. Der zweite Tag brach an, doch er brachte kein Licht. In der Dunkelheit blieben nur die Straßenlaternen, doch selbst sie konnten den Eindruck von Hoffnungslosigkeit nicht vertreiben. Es war, als hätte die Dunkelheit die Welt verschlungen.
Katrin saß in ihrer Wohnung und starrte aus dem Fenster. Das bleierne Schwarz draußen schien die Welt förmlich zu ersticken. Drei Tage ohne Licht. Die Straßen waren jetzt leer. Niemand traute sich mehr hinaus. Plünderer hatten die Supermärkte gestürmt. Die Polizei patrouillierte, doch man hörte nur noch selten Sirenen.
Als Katrin die Augen schloss, hörte sie es zum ersten Mal. Ein leises Kratzen. Es klang, als käme es von tief unter der Erde. Sie dachte, es wäre ihre Fantasie, oder vielleicht ein Tier. Doch in der folgenden Nacht kam es wieder. Ein Kratzen, tiefer, lauter, näher. Immer mehr Menschen begannen, von seltsamen Geräuschen zu berichten. Manche behaupteten, sie hätten Schatten gesehen, die sich in der Dunkelheit bewegten – Schatten, die nicht von Menschen stammen konnten.
Am sechsten Tag war das Kratzen allgegenwärtig. Es kam von allen Seiten – aus den Wänden, unter den Straßen, und es war nicht länger ein leises Geräusch. Es war ein wütendes, zermalmendes Dröhnen, als würde die Stadt selbst zerbrechen. Die Menschen, die noch geblieben waren, schlossen sich in ihren Häusern ein, beteten um die Rückkehr der Sonne.
In der achten Nacht wurde es still. Zu still. Katrin saß in ihrem Wohnzimmer, das Fenster geschlossen, als ein plötzlicher Knall die Stille durchbrach. Sie sprang auf, riss den Vorhang zurück und sah es. Eine Gestalt, groß, verdreht, mit einer Form, die sie nicht begreifen konnte. Es glitt über die Straße, schien zu flimmern und in der Dunkelheit zu verschmelzen, als ob es selbst aus der Schwärze bestand.
Angst packte sie, aber sie konnte nicht wegsehen. Mehr dieser Wesen tauchten auf, überall. Sie krochen aus den Schatten, aus der Erde selbst. Einige Menschen, die sich noch auf die Straßen gewagt hatten, schrien, doch die Schreie verstummten schnell. Es war, als würde die Dunkelheit sie verschlucken, eins nach dem anderen.
Katrin taumelte rückwärts. Ihre einzige Hoffnung war, dass die Sonne zurückkehren würde. Doch sie wusste es nicht. Niemand wusste, ob das Licht je wieder kommen würde.
Die Stadt lag nun vollständig in den Händen der Finsternis und der Kreaturen, die mit ihr gekommen waren.