Der Gewächshausboden war feucht vom Kondens der Nacht, als Lina zum ersten Mal bemerkte, dass jemand ihre Pflanzen berührt hatte. Die Blätter der Strophanthus, giftig und seidig, lagen durcheinander, als hätte eine Hand sie streichelnd durchwühlt. Sie selbst hatte es nicht getan – sie berührte diese Art nur mit Handschuhen.
Die Luft roch nach Erde und etwas Süßlichem, Verderbendem. Lina kniete nieder, um die Wurzeln der fleischfressenden Nepenthes zu prüfen, als sie die Schritte hörte. Leise, fast unhörbar, wie ein Windstoß zwischen Glas und Stahl.
„Du solltest nachts nicht allein hier sein“, sagte eine Stimme hinter ihr.
Lina drehte sich um. Die Frau, die im Mondlicht stand, trug ein Kleid aus einem Stoff, der wie flüssiges Schwarz glänzte. Ihr Haar war weiß wie die Blüten der Selenicereus, die nur einmal im Jahr öffneten.
„Wer sind Sie?“, fragte Lina, doch ihre Stimme blieb im Hals stecken. Die Fremde lächelte, und in diesem Lächeln lag etwas, das Lina an die fleischigen Blüten der Amorphophallus erinnerte – schön und grotesk zugleich.
„Mara“, antwortete sie, „ich komme nur nachts. Weil die Pflanzen dann sprechen.“
Die Begegnungen wiederholten sich. Mara tauchte auf, wenn der Mond hoch stand, und jedes Mal spürte Lina, wie etwas in ihr erwachte, das sie jahrelang unter akademischen Papieren und der sterilem Präzision ihrer Forschung begraben hatte. Mara berührte die Pflanzen mit bloßen Händen, als wären sie Geliebte. Lina beobachtete, wie die Mimosen sich unter ihren Fingern nicht schlossen, sondern entrollten, wie die Datura-Blüten ihre Kelche öffneten und einen Duft verströmten, der Lina schwindeln ließ.
„Sie fürchten sich nicht vor dir“, flüsterte Lina eines Nachts, als Mara eine Ranke der Monstera um ihren nackten Arm schlang.
„Weil ich ihnen gebe, was sie brauchen“, sagte Mara. Ihre Augen glitzerten wie die Tautropfen auf den Blättern. „Wärme. Berührung. Hunger.“
Lina spürte, wie sich ihre Kehle zusammenzog. Mara stand jetzt so nah, dass ihr Atem über Linas Lippen strich. „Was brauchst du?“, fragte sie.
Die erste Berührung war wie das Aufplatzen einer Samenkapsel. Mara drückte sie gegen den kühlen Glastisch, wo Lina sonst ihre Proben analysierte. Ihre Hände waren rau von der Erde, doch ihre Lippen weich, fordernd. Lina vergaß die Namen der Pflanzen, die sie auswendig kannte, vergaß die lateinischen Begriffe, die ihr Leben strukturiert hatten. Stattdessen roch sie den moschusartigen Duft von Maras Haut, spürte, wie sich ihre Zunge wie eine wurzelnde Ranke in ihren Mund schob.
„Hier“, murmelte Mara gegen Linas Hals, während sie ihr Hemd aufriss. „Zeig mir, wie du mich willst. Ohne Handschuhe. Ohne Angst.“
Lina gehorchte. Ihre Hände gruben sich in Maras Haar, zerrten sie näher, bis ihre Körper sich zwischen Topfreihen und tropischen Blättern pressten. Mara biss in Linas Schulter, und der Schmerz war süß, elektrisch. Als Lina die Finger zwischen Maras Beinen schob, fand sie sie bereits nass, pulsierend wie die Blüten der Oenothera, die sich im Dunkeln entfalteten.
„Mehr“, keuchte Mara, und Lina gehorchte, stieß zwei Finger in sie hinein, spürte, wie sich Mara um sie herum zusammenzog, wild, unkontrollierbar. Der Raum füllte sich mit dem Geräusch knospender Pflanzen, knackender Stängel, und als Mara kam, schrie sie nicht – sie lachte, ein tiefes, dunkles Geräusch, das die Blätter zum Zittern brachte.
Doch mit jeder Nacht wurde die Grenze zwischen Lust und Albtraum dünner. Die Pflanzen begannen, Linas Geheimnisse widerzuspiegeln: Die Orchideen blühten in Mustern, die exakt ihren Muttermalen entsprachen; die Tillandsien hingen wie verkümmerte Gliedmaßen von der Decke. Mara tauchte seltener auf, doch wenn sie kam, war ihre Gier brutaler, ihre Zärtlichkeit zu einem Spiel geworden.
„Du veränderst sie“, beschuldigte Lina sie eines Abends, als sie eine Venusfliegenfalle fand, die sich selbst zu verschlingen schien.
Mara lächelte, während sie eine Kletterpflanze um Linas nackten Oberkörper wickelte. „Nein, du tust das. Diese Gewächse… sie zeigen, was du unterdrückst.“ Sie beugte sich vor, leckte einen Schweißtropfen von Linas Brust. „Deine Angst. Deine Sucht nach mir. Das hier…“ – ihre Hand glitt zwischen Linas Beine – „…ist nur ein Symptom.“
Lina wollte protestieren, doch Maras Finger waren bereits in ihr, bewegten sich mit einer Präzision, die sie zum Beben brachte. Die Pflanze um ihren Körper zog sich enger, als würde sie sie festhalten wollen. Als Lina kam, schmeckte sie Blut auf ihrer Zunge.
Am Morgen danach fand Lina eine neue Pflanze im Gewächshaus. Ein Gewächs, das sie nicht kannte: schwarze, verdrehte Stängel, Blätter wie scharfkantige Messer. In der Mitte wuchs eine Knospe, die wie ein menschliches Auge aussah.
Als sie Mara konfrontieren wollte, war die Frau verschwunden. Nur ein Zettel lag zwischen den Nachtkerzen:
„Du hast genug von mir genommen. Jetzt nimm dir den Rest.“
Lina berührte die Knospe. Sie öffnete sich mit einem schmatzenden Geräusch. Darin lag etwas, das aussah wie ein winziger, perfekter Mensch – mit ihrem Gesicht.
Draußen begann die Sonne zu steigen. Doch zum ersten Mal seit Wochen sehnte Lina sich nicht nach dem Licht.