Verloren im Sturm

Die eisige Kälte schnitt wie tausend winzige Nadeln in Marias Gesicht, als sie verzweifelt durch den dichten Schneesturm stapfte. Der Wind heulte wie ein wütendes Tier, und jede Sekunde fühlte sich an, als würde er sie von den Klippen reißen. Sie konnte nur ein paar Meter weit sehen, der Schnee wirbelte so dicht um sie herum, dass es fast wie eine weiße Mauer war.

„Geht es dir gut?“ schrie David, ihr Bruder, gegen den Sturm an, aber seine Stimme wurde sofort vom Wind verschluckt.

Sie nickte, obwohl sie sicher war, dass er es nicht sehen konnte. Ihre Beine fühlten sich schwer an, als wären sie in Betonblöcke gegossen, und die Erschöpfung machte es schwer, sich zu konzentrieren. Alles, was sie wollten, war den Gipfel erreichen und dann schnell ins Basislager zurückkehren. Aber der Sturm kam schneller, als sie es erwartet hatten, und nun waren sie verloren.

„Wir müssen Schutz suchen!“ brüllte David erneut.

„Da vorne!“ Maria deutete auf einen Felsen, der sich nur schemenhaft in der Ferne abzeichnete. Es war keine Höhle, aber zumindest ein kleiner Schutz vor dem beißenden Wind. Gemeinsam kämpften sie sich voran und drückten sich unter den Vorsprung, der kaum genug Platz für beide bot.

„Wie lange hältst du das noch durch?“ fragte David leise. Seine Augen waren weit geöffnet, seine Lippen blau gefroren. Der Sturm machte es unmöglich, Rettung zu rufen. Sie waren auf sich allein gestellt.

„Wir schaffen das,“ antwortete Maria, obwohl sie sich nicht sicher war, ob sie sich oder ihn beruhigen wollte. Ihre Finger waren taub, und sie konnte kaum noch spüren, wie sie sich an den Felsen festklammerte. Es gab kein Entkommen, und der Gedanke, dass dies vielleicht das Ende war, kroch unaufhaltsam in ihre Gedanken.

Plötzlich schrie jemand aus der Ferne. Beide drehten sich um. Es war Tobias, der andere Bergsteiger, der vor Stunden vor ihnen hergegangen war. Seine Gestalt schwankte in der Ferne, ein kleiner Schatten inmitten des tosenden Schnees. Doch etwas stimmte nicht – sein Gang war unregelmäßig, fast als würde er stolpern. Als er näherkam, konnten Maria und David sehen, dass er nicht nur von der Kälte gezeichnet war. Seine Augen waren weit aufgerissen, seine Hände zitterten unkontrolliert, und seine Lippen murmelten etwas Unverständliches.

„Tobias!“ schrie David und stürzte auf ihn zu, aber Tobias wich zurück. „Was ist los? Was ist passiert?“

„Er… er kommt,“ stotterte Tobias, während er verzweifelt den Kopf schüttelte. „Wir sind nicht allein.“

David hielt ihn fest, während Tobias in sich zusammenbrach. „Was redest du da?“ fragte er, aber Maria konnte die Angst in seiner Stimme hören. „Wer kommt?“

„Der Berg,“ flüsterte Tobias, seine Augen starrten in die Ferne. „Der Berg will uns alle.“

Es war verrückt, dachte Maria. Wahrscheinlich war Tobias durch den Sturm und die Kälte desorientiert. Aber als der Wind erneut aufheulte, als würde er ihren Namen rufen, konnte auch sie sich nicht ganz von der wachsenden Beklemmung befreien.

„Wir müssen hier weg,“ sagte Maria hastig. „Wenn wir länger bleiben, werden wir erfrieren.“

David nickte, aber Tobias blieb still, den Blick in den Schnee gerichtet. „Wir können nicht weg. Er lässt uns nicht.“

Und dann hörten sie es alle – ein tiefes, dumpfes Grollen, das aus den Tiefen des Sturms zu kommen schien, als würde der Berg selbst atmen.

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